Mittwoch, Oktober 04, 2006

Jeffs Worte

"Sie hieß Laura, sagst du?" fragte der Amerikaner.
Ich nickte und fühlte mich wie ein dummer Junge, der gerade den Anflug einer Ahnung hat, dass der Weihnachtsmann irgendwie aussah, wie Onkel Bob von nebenan.
Die Sonne war untergegangen und es war kühl am Bahnsteig von Roslin.
Ich hatte einen Tag der Suche hinter mir.
Zuerst war ich hoffnungsvoll aus dem Zug in Edinburgh, und in den nächstbesten Zug nach Roslin gestiegen. Ich hatte kein Auge für den gepflegten Bahnhof. Alles was mir wichtig schien, war die nächstbeste Verbindung nach Roslin. Die Verbindung zu Laura.
Vielleicht würde ich sie noch erwischen, sie sehen, oder jemanden treffen, der mir sagen konnte, wo ich sie finden kann.
Die Hoffnung verflog im Laufe des Tages, als ich mit meinem Rucksack durch die schmalen Straßen Roslins pilgerte.
Nach einem kargen Mittagessen in einem der engen Pubs gab ich auf.
'Du hast gespielt und verloren' sagte ich zu mir und ging wieder zum Bahnhof.
Der nächste Zug zurück nach Edinburgh würde erst in einigen Stunden hier eintreffen.
Ich ließ den Rucksack fallen und setzte mich daneben. Nachdem ich einige Male tief durchgeatmet hatte, ging es mir besser.
'Du hast Urlaub, fang an ihn zu genießen.' Doch sonderlich überzeugen konnte ich mich damit noch nicht.

Nun saß ich mit Jeff, dem Amerikaner, der irgendwann auf dem Bahnhof aufgetaucht war, an einem winzigen Tisch auf dem zwei fast leere Guinnes Gläser standen.
Das gemeinsame Warten auf den erlösenden Zug hatte uns zurück in den kleinen Pub, und meine Gedanken zu Laura geführt.
"Findest du's nicht etwas überspannt, einer Frau hinterher zu rennen, die nichts weiter getan hat, als Dir eine Cola zu spendieren?"
Wieder nickte ich. Er hatte recht.
Wahrscheinlich würde ich sie, wenn ich sie finden würde, sowieso nur belästigen.
"Du bist aber kein Stalker, right?"
Ich beeilte mich ihm zu versichern, dass dies nicht der Fall sei.
Aber ich war mir nicht mehr so sicher.
Langsam, aber sicher wurde mir bewusst, wie die Geschichte auf einen Unbeteiligten wirken musste und schämte mich fast ein wenig, dass ich Jeff sofort alles erzählt hatte.
Seltsamerweise reagierte er auf alles sehr ruhig und abgeklärt. es wirkte beinahe so, als verfolge er anstatt der Unterhaltung mit mir, ein eher langweiliges Fußballspiel.
Plötzlich ärgerte mich dieses Verhalten.
Ich kann nicht genau sagen warum, aber ich wollte es ihm in diesem Moment sagen. Doch riss ich in letzter Sekunde das Ruder herum und stellte ihm eine Frage.
"Das scheint dich alles nicht sonderlich zu interessieren."
"Deine Geschichte mit dieser Laura?"
"Auch, ich meine damit eigentlich alles. Vorhin sagtest du, dass du zum ersten mal hier in Schottland seist. Du wirkst aber nicht sonderlich interessiert an Land und Leuten."
Jeff zog die Brauen hoch und blickte in sein schwindendes Bier.
"Ich war vorher in Australien, dann Neuseeland, Thailand und jetzt reise ich als Abschluss durch Europa. Könnte sein, dass ich etwas müde bin."
"Aha." murmelte ich und ärgerte mich, dass ich von jemandem, den ich erst ein paar Stunden kannte, erwartete, dass er sich für meine Belange begeistert.
Jeff nickte leicht, als hätte er meine Gedanken gehört.
Ich fühlte mich wohl in der Gegenwart des blassen Amerikaners, der aussah, als hätte er sich seit einer Woche nicht rasiert.
"Lauf ihr nicht nach." sagte er.
"Warum nicht?"
Natürlich wusste ich, dass er recht hatte, doch wollte ich wissen, welche Gründe er anführen würde.
"Weil du blind hinter einem Ziel herläufst, das du niemals wieder finden wirst und so lange du das tust, wird dir alles andere entgehen."
"Klingt als wüsstest du von was du sprichst."
"Weiß ich."

Der regennasse Bahnhof schien im Licht der verhangenen Abendsonne zu glitzern als wir wieder am Bahnsteig standen und auf unseren Zug warteten.
Plötzlich fing Jeff an zu husten. Es schüttelte ihn und er krümmte sich wie von unsichtbaren Schlägen getroffen.
"Geht's wieder?" fragte ich, nachdem der Husten abgeklungen war.
Er nickte nur und ließ sich auf einen nahe Bank fallen.
"Geht schon, ist halb so schlimm." sagte er schließlich, als er wieder Luft bekam.
Für weitere Fragen, ob angebracht oder nicht, blieb keine Zeit, denn der Zug kündigte sich mit lauter werdendem Dröhnen an.

Freitag, April 14, 2006

Die letzte ihrer Art

Die letzte ihrer Art

I: Eine Reise, ein Geheimnis und eine grandiose Überraschung

Die herbstlich braunen Bäume ziehen schnell vorüber und wirken durch das Fenster des Zuges wie ein Aquarell. Verschwommen und, mit ein wenig Phantasie, doch gut erkennbar. Ich stehe schon seit über einer Stunde an diesem Fenster auf dem engen Gang vor dem winzigen Abteil mit den sechs Sitzen. Der fünfte, mein Platz, ist nun leer. Ich habe es nicht mehr ertragen.

Meine mir aufgebürdeten Mitreisenden beharken sich unablässig mit seelenlosen Smalltalk-Salven.

Der alternde Pfarrer, der einer Rentnerin neben ihm aus reiner Freundlichkeit zuhört, wäre der einzige gewesen mit dem ein richtiges Gespräch hätte entstehen können.

Doch sie hat ihn mit solcher Inbrunst in Beschlag genommen, dass an so etwas nicht zu denken ist.

Die anderen, eine dreiköpfige Reisegruppe aus Holland, unterhielten sich über etwas das ich nicht versehen konnte als ich gegangen bin.

Nun stehe ich am Fenster und strecke von Zeit zu Zeit die Nase durch den engen Fensterspalt. Ich genieße den Fahrtwind.

Mit geschlossenen Augen versuche ich die gedämpften Stimmen der anderen Reisenden aus meinen Gedanken zu verbannen.

Er duftet nach Regen, nach Moos und Gebirge. Wir sind in Schottland.

Seltsam, dass ich nicht schon früher auf die Idee kam zu reisen.

Hätte ich geahnt wie viel Freude es mir bereitet und wie sehr es mich erfüllt fremde Orte zu sehen, dann hätte ich wohl nicht erst mit fast dreißig meine erste richtige Reise unternommen.

Aller Anfang war, wie so oft, ein Ende.

Eine Beziehung zerbricht und die Scherben ergeben keinen Sinn, ergeben kein Bild mehr.

Egal auf welche Art man versucht alles zusammenzusetzen, sie wollen nicht zueinander passen.

Bald beginnt man sich zu fragen ob es überhaupt einmal gepasst hat.

Hat man sich all diese schönen Momente nur eingeredet, oder sind sie wirklich geschehen?

Man gewinnt plötzlich einen gewissen Abstand von der Szenerie die einem noch vor kurzem so unglaublichen Kummer bereitet hat und zieht sich in eine Ecke seines Herzens zurück von der aus man alles aus einer größeren Distanz sieht.

Dies ist der Moment an dem die Heilung beginnt.

Billy Joel singt:

In every heart there is a room

A sanctuary safe and strong

To heal the wounds from lovers past

Until a new one comes along

Er hat recht.

Doch all das ist nun Monate her.

Damals war alles nur ein trüber Gedanke der durch einen nebligen Verstand schwamm.

Zu jener Zeit schien alles in dunstig, warmen Nebel gehüllt. Alkohol nimmt dem Leben die scharfen Kanten, leider ist das nicht alles was er nimmt. Der Glanz der kleinen Dinge ist der Tribut den man dem Nebel entrichten muss.

Doch auch das ging vorbei. Der stetige Nebel verschwand und bis auf ein paar kurze Besuche, auch der Alkohol.

Der trübe Gedanke witterte seine Chance und drängte sich in den Vordergrund.

Er verwandelte sich in eine Idee. Eine wahrhaft gute Idee.

Eine Reise! Nichts vertrautes und keine Erinnerungen sollten mich berühren können.

Ich wollte etwas Unbekanntes sehen, darüber staunen.

Jemand rempelt mich an. Ich rieche billiges Rasierwasser.

>Sorry!<>

Noch bevor ich die Augen öffne weiß ich, dass es der Kanadier ist. Ich sah ihn durch das Fenster als er am Bahnsteig wartete.

Er ist beim letzten Halt zugestiegen.

Sein gigantischer Rucksack mit der kanadischen Flagge darauf, lässt den meinen aussehen wie eine Damenhandtasche. Er scheint noch immer einen Platz zu suchen.

Ich nicke ihm zu. Er nickt zurück und zwängt sich weiter durch den engen Gang.

Bevor ich wieder die Gesprächsfetzen der anderen wahrnehmen kann, richte ich den Blick wieder aus dem Fenster, und konzentriere mich auf das ratternde Geräusch der Räder und das Rauschen des Fahrtwindes.

Ich versuche meine Gedanken wieder aufzunehmen, doch mir fällt nur die Rundreise ein.

>Italien?<

Hatte ich den freundlichen jungen Mann mit dem korrekten Scheitel im Reisebüro gefragt.

Ich hasse Strände! Wenn ich verreise, dann will ich richtige Menschen sehen. Sollte mir der Sinn nach Badenixen stehen, dann schalte ich Baywatch ein.

Er versicherte mir, dass ich nur einige Kilometer entfernt von den Stränden genau das finden würde, was ich suchte.

Ich konnte es mir trotz all der guten Worte nicht vorstellen. So schlug mir der freundliche Anzugmensch ein anderes Ziel vor.

Schottland! Das klang schon vielversprechender.

Ich entschloss kurzerhand die Reise zu buchen.

Vielleicht wollte ich einfach nur nicht in der gebrauchten Stadt weiterleben. Ich wollte einige Erinnerungen an Orte und Menschen die dort niemand kannte, die nur mir allein gehörten.

Ja die Stadt gehörte nicht mehr mir allein. Sie war zu unserer Stadt geworden und wir hatten sie stillschweigend wie zwei Siegermächte unter uns aufgeteilt.

Wie es schien bekam ich alle erinnerungsschwangeren Plätze und sie die angenehmen Orte.

Vielleicht täusche ich mich auch und richte sie zu hart.

Die Dämmerung setzt ein. Sie schleicht sich über den fast wolkenlosen Herbsthimmel.

Das Blau geht nahtlos in ein nie zuvor gesehenes Rot-orange über. Ich staune und freue mich über Farben die ich zuhause niemals sehen konnte. Selbst dann nicht, wenn ich aus dem Fenster meiner kleinen Wohnung geschaut hätte.

Ich beobachte die wenigen Wolken wie sie über dem Horizont hängen.

Sie sehen aus wie brennende Watte.

Wieder werde ich angerempelt.

Eine junge Frau mit ihrem Rucksack.

Wie kommt es, dass alle einen größeren Rucksack dabei haben als ich? Brauche ich nur weniger, oder habe ich etwas wichtiges vergessen?

Sie entschuldigt sich wortlos mit einem Lächeln. Sie hat leicht lockiges, rotes Haar das sie zum Pferdeschwanz gebunden trägt.

So rot wie die Wolken.

Brennende Watte, denke ich. Dann ist sie fort.

Sie muss in eines der Abteile gegangen sein.

Einen Moment lang schaue ich versonnen den Gang herunter, dann fällt mir wieder die Dämmerung ein.

Nach einer halben Stunde flackert die Gangbeleuchtung auf. Alles wird in gedämpftes, künstliches Licht getaucht.

Hell genug zum lesen? Ja, ich denke schon.

Ich betrete wieder mein Abteil und krame in meinem Rucksack herum. Erst nach einigen Sekunden bemerke ich die Stille.

Der Pfarrer, ins Licht der kleinen Lampe über dem Sitz gehüllt, liest in einem Buch dessen Titel ich nicht erkennen kann. Ein blauer Einband, vielleicht etwas über das Meer? Er nickt mir lächelnd zu als er meinen Blick bemerkt.

Die Rentnerin ist eingeschlafen und lehnt friedlich am gestreiften Kopfpolster ihres Sitzes.

Die Holländer sind fort. Wahrscheinlich ein Bierchen trinken im Speisewagen.

Ich war wohl so im Gedanken, dass ich nicht bemerkt habe wie sie herauskamen und an mir vorbeigingen.

Endlich berühren meine Finger das Buch. Ich ziehe es aus dem Rucksack, und verschwinde wieder auf den Gang.

Seltsamerweise finde ich hier mehr Ruhe als in der Stille des Abteils.

Ich lehne am Fenster und schlage das Buch auf.

Es ist Andreas Eschbachs "Jesus Video". Ich habe es schon einmal gelesen und packte es aus einem bestimmten Grund mit in den Rucksack.

Es dreht sich viel ums Reisen in diesem Buch. Was braucht man mehr? Ein großes Geheimnis, eine Reise und eine grandiose Überraschung.

Das ist eine sehr gute Mischung die genauso auf Geschichten zutrifft wie auf das Leben.

In diesem Moment wünsche ich mir ein Geheimnis auf meiner Reise.

Ein Geheimnis und eine grandiose Überraschung.

Ich vertiefe meine Gedanken in das Buch und bin kurz darauf in eine andere Welt entschwunden.

Eine, höchstens zwei Stunden sind vergangen, als ich wieder aufschaue. Stille erfüllt den Zug.

Das einzige Geräusch ist das allgegenwärtige Rattern der Zugräder auf den Schienen.

Die meisten Passagiere haben sicherlich schon die Betten heruntergeklappt und versuchen auf den engen Pritschen zu schlafen.

Ich halte immer noch das Buch in Händen und blicke aus dem Fenster in die Nacht.

Meine Gedanken wandern zurück zu der Frau in der gebrauchten Stadt.

Ich frage mich, wo sie ist.

Schläft sie? Träumt sie? Vielleicht denkt sie an mich.

Mit festem Blinzeln vertreibe ich die Bilder und versuche in der Dunkelheit Formen auszumachen.

Eine amorphe Masse aus Schatten bietet sich meinem angestrengten Blick.

Nichts ist zu erkennen. Ich könnte nicht sagen, wo wir uns befinden.

Die Dunkelheit von der ich nur durch drei Zentimeter Aluminium getrennt bin, kriecht bedrohlich näher und nur die dämmrigen Ganglampen hindern sie am eindringen.

Ich fühle mich als stünde ich mitten auf der Grenze vom Licht zur Dunkelheit.

Vielleicht stehe ich auch auf der Grenze zwischen dem Damals und dem Jetzt.

Ich wollte diese Reise machen um zu vergessen, etwas Neues zu beginnen und nicht um etwas zu betrauern.

Ich beschließe mich abzulenken und senke den Blick wieder in mein geduldiges Buch.

Kurz darauf geht der Schaffner mit leisem Tritt an mir vorüber.

Er nickt mir zu.

Ich lächle und lausche auf seine Schritte.

Er ist ein älterer Mann, der diese Strecke sicherlich seit Jahren bereist.

Seine Schritte sind die eines Seemannes bei stürmischer See.

Nicht fest und nicht laut.

Sie sind sicher gesetzt und versucht keinen seiner Schutzbefohlenen im Schlaf zu stören.

Ich lehne mich wieder an die Zugwand und suche die Stelle an der ich aufgehört hatte zu lesen.

Es ist dreiundzwanzig Uhr als ich das nächste mal aufschaue.

Ich bin mir sicher, dass sich nun alle Reisenden in ihre winzigen Klappkojen verzogen zu haben, denn seit mindestens einer Stunde ging niemand mehr durch den engen Gang an mir vorüber.

Ein seltsames Gefühl brandet in mir auf.

Das Gefühl auf einem Geisterschiff zu sein, dessen Besatzung in einen unheimlichen Schlaf gefallen ist.

Nur der Schaffner und ich sind wach und starren mit wachsamen Augen in die Dunkelheit.

Er sitzt sicherlich in seinem kleinen Abteil und geht seiner Arbeit nach, oder grübelt genauso wie ich.

Möglich, dass er jemanden vermisst.

Vielleicht läuft er auch vor etwas davon, oder versucht etwas zu vergessen und seine Arbeit hilft ihm dabei.

Ich fühle mich ihm seltsam verbunden. Wir sind beide unnütze Wächter die mit trüben Gedanken diejenigen bewachen die eigentlich keinen Schutz benötigen.

Niemand würde ihren Schlaf stören.

Ich schlage das Buch zu und starre wieder ins Dunkel.

Weiche Schritte nähern sich. Vielleicht will der Schaffner noch eine Runde machen, bevor er sich selbst ein paar Stunden Schlaf gönnt.

Aber es ist nicht der Schaffner. Es ist die Rothaarige.

Sie geht an mir vorüber und lächelt wieder.

Diesmal trägt sie ihr Haar offen. Es liegt auf ihren Schultern wie schwerer, dunkelroter Samt. Der Duft von Parfum und Moos schleicht sich in meine Nase.

Ich kenne das Parfum nicht und selbst wenn ich es kennen würde, so hätte ich sicherlich den Namen vergessen.

Es duftet so wie ich mir den Geruch von Morgentau vorstelle.

Hätte ich sie ansprechen sollen? Nein, was sollte ich auch sagen. Wahrscheinlich spricht sie nicht einmal meine Sprache.

Außerdem hat sie bestimmt besseres vor als sich mit mir zu unterhalten und das auch noch mitten in der Nacht.

Sie ist in Richtung Speisewagen gegangen, dort stehen zwei Automaten. Einer mit Getränken, der andere mit Sandwiches. Bestimmt hat sie Hunger.

Die Schritte nähern sich wieder und sie kommt in Sichtweite.

Sie trägt zwei Colaflaschen und lächelt wieder.

Ich lächle zurück. Mir wird bewusst wie dämlich ich doch aussehen muss. Ich habe mich nicht einen Zentimeter bewegt, oder meine Haltung geändert.

Sie muss denken, dass ich ihr hinterhergestarrt habe.

Immer noch lächelnd bleibt sie vor mir stehen.

>Lust auf ein wenig Zuckerwasser mit Koffein?<>

Ihr Deutsch hat einen leichten Akzent. Es klingt als sei sie Irin, aber ich bin mir nicht sicher.

Vollkommen überrumpelt nicke ich nur.

Sie reicht mir eine der beiden Flaschen und lehnt sich neben mich an die Zugwand. Plötzlich sind alle meine Sinne geschärft. Das Rattern des Zuges schwillt für einen kleinen Moment zu einem Presslufthammerkonzert an und ebbt wieder ab.

Sie schaut mich immer noch neugierig an.

Grüne Augen scheinen mich förmlich nach meinen Geheimnissen auszuleuchten.

Mit einem mal komme ich mir vor, als stehe ich auf einer Bühne vor Publikum.

Man erwartet von mir den Text, den ich nicht gelernt habe. Ich muss improvisieren.

>Vielen Dank, das ist sehr nett von Ihnen.<>

War das nicht schon immer mein Problem? Herauszufinden was man von mir erwartet?

Was wäre, wenn sie nichts von mir erwartet und einfach nur ein nettes Gespräch führen will?

Sie nickt und öffnet ihre Flasche.

Mit leisem Zischen entweicht der Druck als sie den Verschluss löst.

Wieder erscheint mir alles ungewöhnlich laut.

>Möchten sie sich die Cola für einen besseren Zeitpunkt aufsparen?<, fragt sie.

Jetzt komme ich mir wirklich dämlich vor. Ich habe sie wieder nur angestarrt.

>Nein, ich glaube ich trinke mit.<>Ich... ich war wohl noch zu sehr in meinem Buch versunken, tut mir leid.<

Sie zuckt mit den Schultern und ihr Blick gleitet über den Titel des Buches.

>Muss ihnen nicht leid tun, es sei denn das Buch ist nicht gut... Das Jesus Video. Ein seltsamer Titel.<>

Es wirkt fast als spräche sie nicht zu mir, sondern bringt nur ihre Gedanken in hörbare Form.

>Es ist ein sehr gutes Buch!<>Ich lese es bereits zum zweiten mal.<

Sie schaut belustigt auf.

>Dann muss es wohl gut sein.<

>Warum sind sie noch wach? Alle anderen scheinen zu schlafen.<>

Winzige Fältchen erscheinen um ihre Augen als sie lächelnd über meine Frage nachdenkt.

>Ich bin gerne unterwegs.<>Man ist am lebendigsten, wenn man unterwegs ist.<

Ich verstehe sie nicht recht und sie scheint es in meinem Gesicht zu erkennen.

>Auf unseren Wegen sind wir am wachsamsten. Alles was wir sehen, oder wahrnehmen wirkt lebendiger als wenn wir es aus unseren eigenen Fenstern sehen würden.<

Nun verstehe ich und mir fällt der Sonnenuntergang ein.

Sie lehnt sich an die Abteilwand mir gegenüber.

>Wir sind träge, wenn wir sitzen. Wenn wir in unseren warmen Nestern hocken. Auch unsere Gedanken sind dann schwerfälliger. Aber auf Reisen...<

Sie blickt zu Boden und lässt den angefangenen Satz verklingen.

Ich weiß was sie meint. Vielleicht ist es auch der Grund warum ich hier auf dem Gang stehe mit einem Buch in der Hand.

>Woher kommen sie?<>

>Meinen sie jetzt woher ich gerade komme, oder wo ich geboren bin?<

>Was immer sie mir erzählen möchten, es interessiert mich.<

Sie lacht kurz. Es ist ein angenehmes Lachen. Eines das man gerne mitnehmen würde um es wie einen Schatz zu hüten, oder um es mit guten Freunden zu teilen.

Endlich öffne ich meine Flasche und das Zischen vermischt sich kaum hörbar mit dem gleichmäßigen Rattern.

>Ich komme gerade aus Deutschland und bin auf dem Weg nach Hause.<>

>Wirklich, in Deutschland? Ich komme aus Deutschland. Wo waren sie dort?<

Sie lächelt diebisch in dem Wissen, dass ich bei ihrem Spiel mitmache.

>Oh, ich war so ziemlich überall...München, Berlin, Frankfurt.<

>Ich komme aus Frankfurt!<>

>Frankfurt also.<

Sie nimmt einen Schluck aus ihrer Flasche und wartet darauf, dass ich etwas sage.

>Ja, Frankfurt. Ich arbeite dort in einem winzigen Theater.<

Sie hebt eine Augenbraue.

>Schauspieler?<>

>Schlimmer! Bühnenautor und Dichter.<.

Sie lacht wieder. Herrlich.

>Warum haben sie Frankfurt verlassen? Machen sie Urlaub, oder soll es länger dauern?<

>Es wird eine Art Urlaub. Eine Schottland Rundreise, aber ich denke, dass ich die eine oder andere Zeile zu Papier bringen werde.<

>Warum Schottland?<>

>Ich verspreche mir von diesem Land ein wenig Ruhe...<

Dann füge ich im Gedanken hinzu: >...und Heilung.<

Sie blickt mich forschend an.

Ich fühle mich von diesen hübschen, grünen Augen ertappt.

>Aber es ging gerade um sie. Was tun sie in all diesen Städten?<

Sie zögert kurz. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor. Es wäre nicht das erste mal, dass ich mich irre.

Plötzlich lächelt sie wieder.

>Urlaub... Ich habe dort Freunde, die ich regelmäßig besuche.<

Ich nehme einen tiefen Schluck von meiner Cola.

>Das erklärt, warum sie so gut Deutsch sprechen.<

Sie schaut den Gang hinunter und nickt.

>Welche Art Stücke schreiben sie?<>

Ich überlege kurz.

>Nichts allzu kompliziertes. Meistens geht es um Liebe.<

>Das ist ja auch ein schier unerschöpfliches Thema.<

Ich zupfe das Etikett der Flasche ab und spiele nervös damit.

>Ja...<

>Glauben sie noch an die Liebe?<>

Ich lächle.

>Natürlich, sonst könnte ich nicht über sie schreiben. Warum fragen sie?<

>Sie sind mindestens sechsundzwanzig... eigentlich sollten sie schon oft genug auf die Nase gefallen sein.<

Wo sie recht hat...

>Ja, aber ich lerne nicht aus meinen Fehlern! Ich werde übrigens bald dreißig.<

Sie lacht.

>Das tut mir leid.<

>Was tut ihnen leid? Dass ich nicht aus meinen Fehlern lerne, oder dass ich stark auf die dreißig zugehe?<

Wieder lacht sie. Ich könnte ihr die ganze Nacht beim lachen zuhören.

>Beides.<>

>Aber warum?<, frage ich. >Ich finde dreißig wirklich ein gutes Alter und dass ich nicht aus meinen Fehlern lerne ist nicht unbedingt von Nachteil.<

Sie stutzt.

>Warum ist es kein Nachteil? Sie machen doch die gleichen Fehler immer wieder, was soll daran so gut sein?<

Ich muss kurz nachdenken.

>Es ermöglicht mir aber eine unvoreingenommene Sicht auf die Menschen die ich lieben möchte. Ich erwarte nicht sofort etwas Schlechtes, wenn jemand in mein Leben tritt. Zuviel Vorsicht und Misstrauen hält vielleicht den Menschen von mir fern auf den ich warte.<

>Warten sie auf jemanden?<>

>Natürlich. Wir warten alle auf jemanden. Sie doch bestimmt auch.<

>Ich weiß es nicht.<, zweifelt sie. >Ich kann nicht an diese wunderbare Liebe glauben von der zum Beispiel Shakespeare berichtet. Ich habe sie jedenfalls noch nicht erlebt.<

Rückblickend muss ich sagen...

>Ich ja auch nicht. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass es sie nicht gibt. Vielleicht wartet sie ja irgendwo auf sie, oder mich. Möglich, dass ich sie in den Highlands finde. Oder in einem kleinen Café in Edinburgh, oder in einem der Theater die ich besuchen will...<

>...oder in einem Zug?<>

Als sie verstummt lächelt sie kurz, dann blickt sie auf ihre Armbanduhr.

Ich will ihr zuvorkommen.

>Es ist schon spät... <>

Sie schaut zu mir hoch.

>Ja,... hat mich gefreut mit ihnen eine Cola zu trinken. Ich denke ich versuche noch etwas zu schlafen.<

>Ähm... vielen Dank noch mal für die Cola und die Unerhaltung.<

Sie wendet sich mit einem kurzen Zwinkern um und geht den Gang hinunter.

Wie heißt sie?

>Wie ist ihr Name?<>

Sie dreht sich im Laufen um.

>Warum wollen sie den wissen?<

Was ist denn das für eine Frage?

>Ich muss doch etwas in mein Tagebuch schreiben!<

Sie lacht.

>Laura.<

Dann verschwindet sie in ihrer Kabine.

Ich stehe mit einer Colaflasche auf dem Gang und überlege was gerade geschehen ist.

Gerade habe ich mich vollkommen ausfragen lassen.

Kurz denke ich daran schlafen zu gehen, verwerfe den Gedanken aber sofort wieder.

Ich glaube nicht, dass ich jetzt schlafen könnte.

Das Buch liegt noch neben mir auf einem der kleinen Notklappsitze. Es ist egal ob ich eine Stunde wachliege, oder die Zeit mit lesen verbringe.

Die nächste Stunde verbringe ich mit dem Versuch wieder in mein Buch zu finden.

Ich habe bereits drei, oder vier Seiten gelesen, schaffe es aber nicht der Handlung zu folgen.

Ich schweife ständig ab. Es ist Laura die sich in meinen Gedanken ausbreitet.

Wie ein Tropfen Rotwein in einem quellwassergefüllten Glas.

Regentropfen zerplatzen an der Glasscheibe des Fensters neben mir.

Wir sind in Schottland, denke ich. Hier regnet es nun mal recht oft.

Verdammt.

Jetzt fällt mir ein, was ich vergessen habe. Regenzeug. Das reißt wieder ein unvorhergesehenes Loch in die Urlaubskasse.

Doch das ist mir momentan egal.

Ich lehne meinen Kopf ans Fenster und blicke in die verregnete Nacht.

Die Landschaft scheint nur ein schmaler Streifen zu sein, der durch das Licht des Fensters huscht.

Für eine Sekunde habe ich Angst den Höhepunkt meiner Reise bereits hinter mir zu haben, noch bevor sie richtig begonnen hat.

Das hypnotisierende Rattern des Zuges nimmt mich wieder gefangen.

Langsam fallen mir die Augen zu.

Ich lasse es geschehen in dem Wissen, dass ich von wundervoll grünen Augen träumen werde.

Ein Ruck lässt mich erwachen. Der Zug hat angehalten.

Wo sind wir.

Ich versuche mich zu orientieren. Mein Buch liegt vor mir auf dem Boden und die halbleere Colaflasche steht daneben.

Ein Wunder, dass sie nicht umgefallen ist.

Mitreisende die aussteigen wollen kommen den Gang herunter auf mich zu. Ich drehe meine Beine zur Wand um ihnen Platz zu machen. Ich will mich jetzt nicht erheben.

Warum bin ich Trottel eigentlich im Gang eingeschlafen.

Grüne Augen blitzen in meiner Erinnerung auf.

Laura.

Plötzlich ist alles wieder da.

Eine Art angenehmer Druck ist es, der sich zwischen meinen Schulterblättern sternförmig ausbreitet.

Die Herde der Reisenden hat mich erreicht und drängelt sich entschuldigend vorbei.

Ich bekomme zwei Taschen in die Rippen und einen Koffer ans Knie.

Aber es stört mich kaum.

Ich sehe ihnen nach, wie sie aussteigen.

Mein Blick streift ein Schild. ROSLIN steht in großen Lettern darauf geschrieben.

Eine Haltestelle vor Edinburgh, meinem Zielbahnhof.

Scheint so als müsse ich mich doch erheben.

Wieder Schritte. Ein Nachzügler der sich beeilen sollte, denn die Türen werden sich gleich schließen.

Ich hebe mein Buch und die Flasche auf.

Die Schritte verstummen.

Plötzlich steht Laura vor mir.

Ich muss ziemlich mitgenommen aussehen, aber sie lächelt.

>He Dichter. Zeit Abschied zu nehmen.<

Erst jetzt bemerke ich ihren Rucksack und die dicke Jeansjacke die sie trägt.

Mein Gehirn setzt aus und mein Herz springt dafür ein.

>Aber wir hatten doch keine Zeit um...<

Sie lächelt.

>Vielleicht sehen wir uns.<>

Ich stehe auf.

>Wie sollte ich dich...sie finden?<

Sie grinst breit und ihre Augen funkeln.

>Überrasch mich! Wenn du mich nicht findest, dann schreibe einfach etwas über unsere Begegnung.<

Ich stehe einfach nur da und halte mich am Buch und der Flasche fest.

Ihr Gesicht nähert sich meinem.

Sie küsst mich auf die Wange.

Ihr Morgentau Parfum dringt zart in meine Nase.

Der Pfiff des Schaffners zerreißt den Moment.

Dann lässt sie mich stehen, geht ohne sich umzudrehen zur Zugtür und steigt aus.

Ich kann es nicht glauben, habe das Gefühl, dass sie nicht nur aus diesem Zug, sondern auch aus meinem Leben gestiegen ist.

Ich muss raus! Schießt es mir durch den Kopf und ich renne zu meinem Abteil weiter hinten.

Mit einem Zischen schließen sich die Türen.

Zu spät. Alles zu spät.

Ich bleibe stehen und lehne mich wieder an eines der Fenster.

Vielleicht sehe ich sie noch.

Tatsächlich weiter vorne sehe ich sie den Bahnsteig entlang gehen.

Wie gerne würde ich ihr wenigstens meinen Namen sagen, aber die Gangfenster lassen sich nicht weit genug öffnen.

Sie dreht sich um und schaut mich an, während ich langsam an ihr vorbei getragen werde.

Ich könnte heulen vor Verzweiflung.

Aber ihre Lippen formen stumme Worte.

Ich verstehe nicht und schüttle den Kopf.

Sie wiederholt es noch einmal langsam.

Jetzt glaube ich zu verstehen.

Ich schaue ihr nach während sie aus meinem Blickfeld verschwindet.

Sie ist weg, aber ihre stummen Worte kann ich fast hören.

>Du findest mich!<

Dienstag, April 04, 2006

Habt Spaß...

Hier landen alle Texte, welche auf Klapsenschaffner nicht reinpassen. Sei es von der Länge oder der Thematik...

Habt Spaß...