Mittwoch, Oktober 04, 2006

Jeffs Worte

"Sie hieß Laura, sagst du?" fragte der Amerikaner.
Ich nickte und fühlte mich wie ein dummer Junge, der gerade den Anflug einer Ahnung hat, dass der Weihnachtsmann irgendwie aussah, wie Onkel Bob von nebenan.
Die Sonne war untergegangen und es war kühl am Bahnsteig von Roslin.
Ich hatte einen Tag der Suche hinter mir.
Zuerst war ich hoffnungsvoll aus dem Zug in Edinburgh, und in den nächstbesten Zug nach Roslin gestiegen. Ich hatte kein Auge für den gepflegten Bahnhof. Alles was mir wichtig schien, war die nächstbeste Verbindung nach Roslin. Die Verbindung zu Laura.
Vielleicht würde ich sie noch erwischen, sie sehen, oder jemanden treffen, der mir sagen konnte, wo ich sie finden kann.
Die Hoffnung verflog im Laufe des Tages, als ich mit meinem Rucksack durch die schmalen Straßen Roslins pilgerte.
Nach einem kargen Mittagessen in einem der engen Pubs gab ich auf.
'Du hast gespielt und verloren' sagte ich zu mir und ging wieder zum Bahnhof.
Der nächste Zug zurück nach Edinburgh würde erst in einigen Stunden hier eintreffen.
Ich ließ den Rucksack fallen und setzte mich daneben. Nachdem ich einige Male tief durchgeatmet hatte, ging es mir besser.
'Du hast Urlaub, fang an ihn zu genießen.' Doch sonderlich überzeugen konnte ich mich damit noch nicht.

Nun saß ich mit Jeff, dem Amerikaner, der irgendwann auf dem Bahnhof aufgetaucht war, an einem winzigen Tisch auf dem zwei fast leere Guinnes Gläser standen.
Das gemeinsame Warten auf den erlösenden Zug hatte uns zurück in den kleinen Pub, und meine Gedanken zu Laura geführt.
"Findest du's nicht etwas überspannt, einer Frau hinterher zu rennen, die nichts weiter getan hat, als Dir eine Cola zu spendieren?"
Wieder nickte ich. Er hatte recht.
Wahrscheinlich würde ich sie, wenn ich sie finden würde, sowieso nur belästigen.
"Du bist aber kein Stalker, right?"
Ich beeilte mich ihm zu versichern, dass dies nicht der Fall sei.
Aber ich war mir nicht mehr so sicher.
Langsam, aber sicher wurde mir bewusst, wie die Geschichte auf einen Unbeteiligten wirken musste und schämte mich fast ein wenig, dass ich Jeff sofort alles erzählt hatte.
Seltsamerweise reagierte er auf alles sehr ruhig und abgeklärt. es wirkte beinahe so, als verfolge er anstatt der Unterhaltung mit mir, ein eher langweiliges Fußballspiel.
Plötzlich ärgerte mich dieses Verhalten.
Ich kann nicht genau sagen warum, aber ich wollte es ihm in diesem Moment sagen. Doch riss ich in letzter Sekunde das Ruder herum und stellte ihm eine Frage.
"Das scheint dich alles nicht sonderlich zu interessieren."
"Deine Geschichte mit dieser Laura?"
"Auch, ich meine damit eigentlich alles. Vorhin sagtest du, dass du zum ersten mal hier in Schottland seist. Du wirkst aber nicht sonderlich interessiert an Land und Leuten."
Jeff zog die Brauen hoch und blickte in sein schwindendes Bier.
"Ich war vorher in Australien, dann Neuseeland, Thailand und jetzt reise ich als Abschluss durch Europa. Könnte sein, dass ich etwas müde bin."
"Aha." murmelte ich und ärgerte mich, dass ich von jemandem, den ich erst ein paar Stunden kannte, erwartete, dass er sich für meine Belange begeistert.
Jeff nickte leicht, als hätte er meine Gedanken gehört.
Ich fühlte mich wohl in der Gegenwart des blassen Amerikaners, der aussah, als hätte er sich seit einer Woche nicht rasiert.
"Lauf ihr nicht nach." sagte er.
"Warum nicht?"
Natürlich wusste ich, dass er recht hatte, doch wollte ich wissen, welche Gründe er anführen würde.
"Weil du blind hinter einem Ziel herläufst, das du niemals wieder finden wirst und so lange du das tust, wird dir alles andere entgehen."
"Klingt als wüsstest du von was du sprichst."
"Weiß ich."

Der regennasse Bahnhof schien im Licht der verhangenen Abendsonne zu glitzern als wir wieder am Bahnsteig standen und auf unseren Zug warteten.
Plötzlich fing Jeff an zu husten. Es schüttelte ihn und er krümmte sich wie von unsichtbaren Schlägen getroffen.
"Geht's wieder?" fragte ich, nachdem der Husten abgeklungen war.
Er nickte nur und ließ sich auf einen nahe Bank fallen.
"Geht schon, ist halb so schlimm." sagte er schließlich, als er wieder Luft bekam.
Für weitere Fragen, ob angebracht oder nicht, blieb keine Zeit, denn der Zug kündigte sich mit lauter werdendem Dröhnen an.

12 Comments:

Blogger Falcon said...

Natürlich erwarte ich viel. Aber ich werde ja glücklicherweise auch nicht enttäuscht.
Die handelnden Personen sind jetzt, wie es sich für den guten mittleren Teil einer Trilogie (oder wird es ein Vierteiler?) gehört, in Stellung gebracht worden, jetzt bin ich gespannt auf die Auflösung.
Ich fürchte nur beinahe, ein hollywoodreifes Happy End werde ich nicht erwarten dürfen, schließlich lebst ja immer noch in Deutschland und nicht in Schottland.
Oder bin ich zu voreilig und erwarte schon die Erzählung eines Endes, das noch gar nicht stattgefunden hat?
In diesem Fall betrachte sämtliche Daumen als gedrückt.
Oder ist das alles nur Deiner Phantasie entsprungen?
Wie auch immer - Hut ab!

13:39  
Blogger trainbuk said...

hm, gefällt. und ich mag jeff. er scheint sehr weise zu sein.

ps: bahnhöfe haben tatsächlich etwas sehr inspirierendes, nicht war?! ;)

01:23  
Blogger Klapsenschaffner said...

Oh ja. Bahnhöfe, sowie fahrende und stehende Züge auch.

Dankeschön

01:42  
Blogger trainbuk said...

ehre, wem ehre gebührt.

02:21  
Blogger Klapsenschaffner said...

Ganz viel Danke!

14:17  
Blogger Meise said...

Hm, hm, diese Zeilen haben Sie ja schon vor einer ganzen Weile geschrieben,
trotzdem,
ohne drängend klingen zu wollen:
Wie geht's denn weiter??
Würde gerne mehr davon lesen.

17:50  
Blogger Klapsenschaffner said...

Ich auch, liebe Frau Meise,... ich auch. Ich arbeite dran.

23:17  
Blogger Meise said...

O.k. dann schau ich auch artig regelmäßig herein!

00:07  
Blogger Meise said...

Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

05:50  
Blogger Klapsenschaffner said...

Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

12:10  
Blogger Frau Vau said...

Ich bin mit dabei... und lerne Sie ein bisschen besser kennen dabei..

22:23  
Anonymous Meise said...

Bester Herr Schaffner, liebe Grüße aus dem Rheinland.
Ich dachte, ich guck mal, ob es hier vielleicht weitergegangen ist.
Wäre echt schön gewesen.
Ich sitze ja im tiefsten aller Kreativ-Löcher und trauere ein wenig der schreibintensiven Zeit hinterher...

19:13  

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